Es birgt immer gewisse Gefahren, einen Theologen zum Papst zu wählen. Dieser könnte seine ihm eigene Theologie zur allgemein gültigen Theologie der Kirche machen und sie der ganzen Welt aufzwängen. Ich vermute, dies war der Fall bei Benedikt XVI, zunächst als Kardinal, der zum Präfekten der Glaubenskongregation (der ehemaligen Inquisition) ernannt und später dann zum Papst gewählt wurde. Dies war illegitim und führte zu ungerechten Verurteilungen. In der Tat verurteilte er mehr als hundert Theologen und Theologinnen, weil diese nicht auf einer Linie mit seiner theologischen Lesart von Kirche und Welt waren.
Gesundheitliche Gründe und das Gefühl der Machtlosigkeit angesichts der Schwere der Krise in der Kirche veranlassten ihn zum Rücktritt. Doch nicht nur dies. In seiner Rücktrittserklärung ist die Rede vom „Rückgang körperlicher und geistiger Vitalität“ und „seinem Unvermögen“, sich den Fragen zu stellen, die die Ausführung seiner Mission so schwierig gestalteten. Hinter diesen Worten, so glaube ich, verbirgt sich ein tieferer Grund für seinen Rücktritt: Ihm wurde bewusst, dass sein theologisches Gebäude einzustürzen drohte und die Errichtung seines Kirchenmodells scheitern würde. Eine absolutistische Monarchie ist nicht so absolut, dass sie die Trägheit der gealterten Strukturen der Kurie überwinden könnte.
Mit den zentralen Thesen seiner Theologie haben die Theologen schon immer ihre Schwierigkeiten gehabt. Drei von diesen Thesen wurden schließlich durch die Fakten widerlegt: das Konzept von Kirche als einer „kleinen versöhnten Welt“; dass die Stadt der Menschen nur kraft der Vermittlung der Stadt Gottes einen Wert erlange; und das berühmte „subsistit“, das besagt: Nur in der katholischen Kirche findet sich die wahre Kirche Christi, keine andere Kirche kann sich als Kirche bezeichnen. Dieses enge Verständnis rührt von einer scharfen Intelligenz, die sich selbst zum Opfer fällt, da es ihr an ausreichender inneren Kraft und der nötigen Zustimmung mangelt, um umgesetzt zu werden. Erkannte Benedikt diesen Kollaps und zog durch seinen Rücktritt die Konsequenz? Es gibt Gründe, die für diese Hypothese sprechen
Der emeritierte Papst hatte im Hl. Augustinus seinen Mentor und seine Quelle für Inspiration gefunden. Augustins war das Thema persönlicher Gespräche mit ihm. Von ihm übernahm er seine grundlegende Sichtweise, beginnend mit dessen drittrangigen Lehre von der Erbsünde (die durch den Zeugungsakt übertragen wird). Dadurch fällt die ganze Menschheit der Verdammung anheim. Doch Gott pflanzte durch Christus inmitten der Menschheit einen rettenden Keim, der durch die Kirche repräsentiert wird. Die Kirche ist eine „kleine versöhnte Welt“, die den verlorenen Rest der Menschheit vertritt. Sie braucht nicht viele Mitglieder zu haben. Ein paar Mitglieder reichen, wenn sie nur rein und heilig sind. Ratzinger verkörperte diese Vision und ergänzte sie durch folgende Überlegung: Die Kirche wurde von Christus und seinen Aposteln gegründet. Daher ist sie apostolisch. Sie besteht nur aus dieser kleinen Gruppe. Dies schließt die Jünger, die Frauen und die Menschenmengen, die Jesus von Nazareth folgten, aus. Sie zählen für Ratzinger nicht. Sie werden von der Vertretung, die die „kleine versöhnte Welt“ übernimmt, erreicht.
Dieses Modell von Theologie und Kirche lässt die weite, globalisierte Welt außen vor. Darum wollte Benedikt aus Europa solch eine „kleine versöhnte Welt“ machen, um nochmals die Menschheit zu erobern. Daran scheiterte er, denn niemand setzte dieses Projekt in die Tat um, und viele fanden es lächerlich.
Auch die zweite These ist von Augustinus und dessen Lesart der Geschichte übernommen: die Konfrontation zwischen der Stadt Gottes und der Stadt der Menschen. In der Stadt Gottes gibt es Gnade, und sie ist der einzige Weg zum Heil. Die Stadt der Menschen wurde von Menschenhand erbaut. Doch da ihr ganzer Humanismus und ihre anderen Werte kontaminiert sind, können die Menschen nicht das Heil erlangen, da sie nicht die Vermittlung der Stadt Gottes (die Kirche) durchlaufen haben. Deshalb macht ihr der Relativismus so zu schaffen. Folglich verurteilte Kardinal Ratzinger scharf die Theologie der Befreiung, denn diese zielt auf die Befreiung der Armen durch sich selbst ab und verhalf ihnen dazu, zu autonomen Akteuren ihrer eigenen Geschichte zu werden. Doch da die Theologie der Befreiung nicht innerhalb der Stadt Gottes und ihrer Keimzelle, der Kirche, errichtet wurde, ist sie unzureichend und sinnlos.
Die dritte These ist eine sehr persönliche Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Benedikt über die Kirche Christi. Der erste konziliare Entwurf besagte, die katholische Kirche ist die Kirche Christi. In den um Ökumene ringenden Diskussionen ersetzte man das Wort ist (est) durch subsistiert in (subsistit in), um Raum für andere christliche Kirchen zu schaffen, die auf ihre eigene Weise auch die Kirche Christi verwirklichen. Diese These, die ich in meiner Dissertation unterstützte, erfuhr eine ausdrückliche Verurteilung durch Kardinal Ratzinger in seinem berühmten Schreiben „Dominus Jesus“ (2000), wo er bekräftigt, dass sich das Wort „subsistiert“ von „Subsistenz“ ableitet, sodass es sich nur um eine einzige handeln kann und dass diese in der katholischen Kirche zu finden ist. Die anderen „Kirchen“ verfügen „nur“ über ekklesiastische Elemente. Dieses „nur“ ist ein willkürlicher Zusatz, die er an den offiziellen Konzilstext anhängt. Einige namhafte Theologen wie auch ich haben gezeigt, dass es diese essentialistische Bedeutung im Lateinischen nicht gibt. Die Bedeutung ist stets konkret: „Gestalt annehmen“, „sich objektiv verwirklichen“. Dies war der „Sensus Patrum“, das was die Konzilsväter im Sinne hatten.
Diese drei zentralen Thesen wurden durch die Fakten widerlegt: Innerhalb der „kleinen versöhnten Welt“ gibt es zu viele Pädophile, selbst unter den Kardinälen, und zu viele Geldräuber in der Vatikan-Bank. Die zweite These, die besagt, dass die Stadt der Menschen über keine heilswirksame Kraft vor Gott verfüge, beruht auf dem Irrtum, den Aktionsradius der Stadt Gottes auf den alleinigen Bereich der Kirche zu begrenzen. Innerhalb der Stadt der Menschen findet sich auch die Stadt Gottes, zwar nicht in Form von religiösem Bewusstsein, sondern in Form von ethischen und humanitären Werten. Das Vatikanum II sagte den irdischen Wirklichkeiten (ein anderer Ausdruck für Säkularisierung) Autonomie zu, die unabhängig von der Kirche über Werte verfügen. Diese gelten auch vor Gott als Werte. Die Stadt Gottes (die Kirche) verwirklicht sich durch den ausdrücklichen Glauben, durch Gottesdienst und Sakramente. Die Stadt der Menschen verwirklicht sich durch Ethik und Politik.
Die dritte These, die katholische Kirche sei die einzige und exklusive Kirche Christi und, mehr noch, außerhalb ihrer gebe es kein Heil, eine mittelalterliche These, von Kardinal Ratzinger wiederbelebt, wurde als Beleidigung der anderen Kirchen einfach ignoriert. Anstelle von „außerhalb der katholischen Kirche kein Heil“ sprachen die Päpste und Theologen nun von der „universellen Heilszusage für alle Menschen und die Welt.“
Ich habe den ernsthaften Verdacht, dass dieses Versagen und der Zusammenbruch seines theologischen Gebäudes ihm die „notwendige körperliche und geistige Vitalität“ so sehr entzogen haben, dass er, wie er bekennt, „sich nicht in der Lage fühlt, sein Amt gut auszuüben“. Als Gefangener seiner eigenen Theologie hatte er keine andere Wahl als ehrenhaft zurückzutreten.
Übersetzt von Bettina Gold-Hartnack
Siehe vom Verfaser Kirche: Charisma und Macht, Düsseldorf, Patmos 1985.
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Valencir
Estão todos primeiro em portugues so depois em outras linguas. É so vc prestar atenção ou ver no arquivo do mes.
lboff
Obrigado. Valtencir
IDERVALREGINALDO TENÓRIO Link Permanente
23/03/2013 15:40
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Procurei mais não encontrei este texto em português , ajude a um pobre latino americano!!!