Man kann sich kaum vorstellen, dass manche Menschen Abtreibung um ihrer selbst willen verteidigen. Abtreibung beinhaltet die Auslöschung von Leben oder das Eingreifen in einen vitalen Prozess, der in menschliches Leben kulminiert. Ich persönlich bin gegen Abtreibung, denn ich liebe das Leben in all seinen Phasen und all seinen Formen.
Das verstellt mir jedoch nicht den Blick auf eine makabre Realität, die wir nicht ignorieren dürfen und die sowohl den gesunden Menschenverstand als auch die staatlichen Stellen herausfordert. Jedes Jahr werden in Brasilien fast 800 000 illegale Abtreibungen durchgeführt. Alle zwei Tage stirbt eine Frau an den Folgen einer unsauber ausgeführten, illegalen Abtreibung.
Dieser Tatsache müssen wir begegnen, und zwar nicht mit Polizei, sondern mit einer verantwortungsvollen staatlichen Gesundheitspolitik und einem realistischen Sinn für Vernunft. Eine Haltung, die nur das Leben im Embryo kompromisslos verteidigt, nicht aber dieselbe Haltung in Bezug auf die Tausende von Kindern einnimmt, die verlassen im Elend leben und ohne Essen oder Liebe durch die Straßen unserer Städte ziehen, erachte ich als heuchlerisch. Leben muss man in all seinen Formen und Altersstufen lieben und nicht nur in seinem ersten Erwachen im Mutterleib. Es obliegt dem Staat und der ganzen Gesellschaft, für die Bedingungen zu sorgen, sodass Frauen im Allgemeinen keiner Abtreibung bedürfen.
Auf den Stufen der Kathedrale von Fortaleza stand ich selbst einer ausgehungerten Mutter bei, die bettelte und ihr Kind mit dem Blut ihrer Brust nährte. Sie war wie eine Ikone des Pelikans. Ich war perplex und voller Mitgefühl und nahm sie mit zum Haus des Kardinals Dom Aloisio Lorscheider, wo wir ihr halfen, so gut wir konnten. Aus solchen Gründen geschehen Abtreibungen, die stets schmerzhaft sind und die Seele der Mutter zutiefst belasten. Ich möchte erzählen, was Leon Bonaventure, der berühmte Psychoanalytiker aus der Schule C. G. Jungs, schrieb und was in seiner Einleitung zu einem Buch einer anderen Jungschen Psychoanalytikerin, der Italienerin Eva Pattis Zoja, mit dem Titel „Abtreibung, Verlorenes und Erneuerung: Paradoxon auf der Suche nach der Identität“ (Aborto, perdita e rinnovamento. Un paradosso nella ricerci di identità, Moretti & Vitali, 2013) aufgeführt war.
Leon Bonaventure berichtet mit der Feinsinnigkeit eines hervorragenden Psychoanalytikers, für den Spiritualität eine Quelle der Integration und eine Heilkunst für die Wunden der Seele darstellt:
“Ein Priester nahm einer Frau die Beichte ab, die zuvor abgetrieben hatte. Nachdem er ihrem Bekenntnis zugehört hatte, fragte der Priester: „Welchen Namen gabst du deinem Kind?“ Die Frau war überrascht und schwieg für eine Weile, denn sie hatte ihrem Kind keinen Namen gegeben.
“So”, sagte der Priester, “werden wir deinem Kind einen Namen geben, und wenn du einverstanden bist, werden wir es taufen.” Die Frau nickte bejahend, und so führten sie die symbolische Handlung aus.
Anschließend stellte der Priester einige Überlegungen über das Mysterium des Lebens an: “Leben existiert – sagte er -, das ans Tageslicht kommt, um auf Erden gelebt zu werden, sagen wir für 10, 50 oder 100 Jahre. Andere Leben werden nie das Sonnenlicht zu sehen bekommen. Im katholischen liturgischen Kalender wird am 28. Dezember der Tag der Unschuldigen Kinder begangen, der Neugeborenen, die grundlos sterben mussten, als das Göttliche Kind in Bethlehem zur Welt kam. Möge dieser Tag auch der Gedenktag deines Kindes sein.“
Und weiterhin sagte er: “In der christlichen Geburtstradition ist die Geburt eines Kindes immer ein Geschenk Gottes, ein Segen. In früheren Zeiten war es üblich, zum Tempel zu gehen und das Kind Gott darzubringen. Es ist nie zu spät, dein Kind Gott darzubringen.“
Der Priester schloss mit den Worten: “Als Mensch kann ich dich nicht verurteilen. Wenn du dich gegen das Leben versündigt hast, kann nur der Gott des Lebens dich mit dem Leben versöhnen. Gehe in Frieden. Und lebe.“ (S. 9).
Papst Franziskus empfiehlt stets Barmherzigkeit, Verständnis und Zärtlichkeit im Verhältnis zwischen Priestern und Gläubigen. Dieser Priester lebte vorausschauend diese zutiefst menschlichen Werte, die auch der historische Jesus von Nazareth bezeugte. Mögen diese Werte auch andere Priester zu einer solchen Menschlichkeit inspirieren.
übeersetzt von Bettina Gold-Hartnack
Republicou isso em Filosofia da Educação.