Interview von Joshua Goodman am 19.02.2013
Befreiungstheologe sieht in Obama einen Wegbereiter für einen schwarzen Papst
Katholische Kardinäle sind durch den Wahlsieg Barack Obamas leichter geneigt, den ersten schwarzen Papst zu wählen, meint ein brasilianischer Theologe, dem einst durch Kardinal Joseph Ratzinger das Bußschweigen auferlegt wurde, bevor dieser zum Papst gewählt worden war.
Leonardo Boff sagte, die Chance, dass ein Afrikaner wie der Kardinal Peter Turkson aus Ghana zum nächsten Papst gewählt würde, sei gering, nachdem Papst Benedikt XVI die meisten der 117 Kardinäle ernannt hat, die im nächsten Monat in einem Konklave seinen Nachfolger wählen werden. Dennoch könnte Obamas Wahl zum Präsidenten der USA eine Bereitschaft zum Wandel in der alten Garde des Vatikans bewirken und auch ein Überdenken der Themen Empfängnisverhütung und Zulassung von Frauen zum Priesteramt.
Zweifellos wird Obamas Anwesenheit unter den Kardinälen spürbar sein.“ Boff, ein ehemaliger Franzsikaner, der in den 1960er Jahren mit Ratzinger an der Universität von München studierte, sagte in einem Telefoninterview: „Wir haben bereits einen schwarzen Präsidenten, warum nicht also auch einen schwarzen religiösen Präsidenten?“
Boff war ein Protagonist der Befreiungstheologe, einer Bewegung, die ihren Anfang durch lateinamerikanische Priester während des Kalten Kriegs nahm und sich auf die Seite der Armen der Region stellte. Ratzinger, der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, beschuldigte diese Bewegung marxistischer Tendenzen und verhängte 1985 über Boff das Schweigegebot wegen dessen kritischen Buchs über die kirchliche Hierarchie. Boff kehrte der Kirche 1992 den Rücken und beschuldigte später den zukünftigen Papst des „religiösen Terrorismus“.
Benedikt als Fehlbesetzung
Während der 74-jährige Boff Benedikts Intellekt schätzt, bezeichnet er ihn als „autoritär“ und als Papst eine „Fehlbesetzung“ und nennt dessen Umgang mit dem Skandal der sexuellen Missbrauchsfälle, die zu Pädophilie-Klagen gegen Tausende von Priestern führte und die Kirche in ihrer Aufgabe als Trägerin der Moral im Kern erschütterte.
„Benedikt stellte nie eine der Ursachen für die Pädophilie infrage, nämlich die Sexualität der Priester und die sexuelle Erziehung in den Seminaren“, sagte Boff am 15. Februar in einem Interview in Araras, einem Bauerndorf und einer Touristenenklave in den von Urwäldern bedeckten Hügeln außerhalb von Rio de Janeiro. „Für ihn ist der Zölibat ein in Stein gemeißeltes Gesetz.“
Ein afrikanischer oder lateinamerikanischer Papst mit lebensnaher Pastoral-Erfahrung hätte mehr Gespür für den Bedarf an Erneuerungen und könnte seine monarchische Macht nutzen, im Handumdrehen die Doktrin über den Zölibat und andere kontroverse Themen abzuändern.
„Es hängt alles von einem Papst aus der Dritten Welt ab“, sagte Boff, der über 60 Bücher über Religion schrieb und Ratgeber für politische Protestgruppen, einschließlich der Landlosenbewegung Brasiliens, ist. „Kontinuität würde nicht mehr ausreichen. Wir hatten jemand Intelligentes, aber als Papst war er eine Fehlbesetzung.“
Reaktion aus dem Vatikan
Ein altgedienter Vertreter des Vatikans meinte, den Papst wegen des Sexskandals in der Kirche als eine Fehlbesetzung zu bezeichnen wäre, als würde man Obama für die Schwäche der Weltwirtschaft beschuldigen. Wenn es auch möglich wäre, dass ein Afrikaner zum Papst gewählt würde, so könne man nicht automatisch davon ausgehen, dass dieser die Lehre über Empfängnisverhütung oder über die Zulassung von Frauen zum Priesteramt revidieren würde. Man könne ebensogut denken, ein Nicht-Katholik könne Papst werden, sagte der Vertreter, der nicht namentlich genannt werden möchte, da die Sitzungen im Vatikan vertraulich behandelt werden müssen.
Das Konklave, das den künfigen Papst wählt, könnte bereits vor dem 15. März stattfinden, wenn alle abstimmenden Kardinäle rechtzeitig in Rom eintreffen. Der Sprecher des Heiligen Stuhls, Federico Lombardi, erklärte am 16. Februar in einer Pressemitteilung, dass die Vertreter des Vatikans den neuen Papst gern schon vor Ostern zu haben wünschen, dem wichtigsten Feiertag der Katholiken, der dieses Jahr auf den 31. März fällt, berichtete die Tageszeitung Repubblica am 17. Februar.
Aus Lateinamerika, nämlich Honduras, käme Oscar Rodriguez Maradiaga infrage, als ein Papst, der die jahrtausendalte Institution modernisieren und eine schwindende Herde neu inspirieren könnte, sagte Boff. Seiner Meinung nach hätte allerdings Turkson aus Ghana eine etwas größere Chance, vom Vatikan gewählt zu werden. Er rangiert zurzeit auf dem zweiten Platz hinter dem Erzbischof von Mailand, Angelo Scola, auf der Liste der möglichen Nachfolger Benedikts, gemäß dem Verlag Paddy Power Plc. aus Dublin.
„Halb-revolutionär“
Boff sagte zwar, er kenne Turkson nicht persönlich, aber seine Kommentare zugunsten einer afrikanisierten Kirche wären „halb-revolutionär“ für den Heiligen Stuhl. Turkson hatte gesagt, durch die Wahl eines Papstes aus einem der Entwicklungsländer, in denen die Hälfte der 1,2 Milliarde Katholiken lebt, würde bereits ein langes Stück Weg zurückgelegt in Richtung Einflussnahme der Kirche aus den aufstrebenden Nationen.
Während in den Anfängen der Kirche zur Zeit des Römischen Reichs drei Päpste aus Nordafrika stammten, gab es seitdem keinen afrikanischen Papst mehr.
Boff sagte, einen lateinamerikanischen oder afrikanischen Papst zu wählen, könnte auch den Finanzen des Vatikans in einer Zeit zugute kommen, da Pfarrgemeinden in Deutschland und den Vereinigten Staaten noch infolge des sexuellen Missbrauchskandals durch die Prozesskosten und schwindenden Anzahl von Gottesdienstbesuchern geschwächt sind.
„Der Vatikan hat es mit einer enormen Finanzkrise zu tun, denn seine größten Finanzquellen sind am Schrumpfen“, sagte er. „Die Kirche wird, schon aus finanzieller Notwendigkeit, sich dazu entscheiden, eine einfachere Kirche zu sein.“