Die Beweglichkeit der Gesellschaft von heute lässt Raum für diverse Formen des Zusammenlebens. Neben der traditionellen Ehe, die innerhalb eines gesellschaftlichen, juristischen und sakramentalen Rahmens geschlossen wird, bilden sich heute immer häufiger Paare (als Lebensgemeinschaft und als offene Beziehung), die außerhalb des institutionellen Rahmens in gegenseitigem Einverständnis geschlossen werden und solange halten wie die Paar-Beziehung bestehen bleibt und die zu nichtehelichen Familien werden können. Mit der Einführung der Scheidung kam es zur Bildung von Familien, die aus nur einem Elternteil bestehen (Mutter oder Vater mit Kind/ern); zu Familien mit mehreren Elternteilen (mit Kind/ern aus vorigen Ehen) als auch zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen (bestehend aus Männern oder Frauen), die in einigen Ländern einen legalen Status erhielten, der ihnen Stabilität und gesellschaftliche Anerkennung verleiht.
Wir wollen versuchen, diese neuen Formen von Lebensgemeinschaften besser zu verstehen. Der brasilianische Spezialist, Marco Antonio Fetter (erster Begründer einer Universität der Familie in Rio Grande do Sul, Brasilien, mit allen akademischen Titeln), definiert Familie als „eine Gruppe von Personen mit gemeinsamen Zielen und starken affektiven Bindungen, innerhalb derer jede/r eine bestimmte Stellung inne hat und wo die Rollen von Vater, Mutter, Kindern und Geschwistern sich ganz natürlich ergeben.“ (www.unifan.com.br)
Die Institution Familie hat sich seit Einführung der Geburtenkontrolle und der Verhütungsmittel, die inzwischen trotz ihrer Ablehnung durch diverse Kirchen einen selbstverständlichen Platz in unserer Kultur einnehmen, stark verändert. Das eheliche Sexualleben hat an Intimität und Spontaneität gewonnen, denn mit diesen Mitteln der Familienplanung hat es sich von unvorhergesehenen und ungewollten Schwangerschaften befreien können. Kinder sind nicht länger das unvermeidliche Resultat sexueller Beziehungen, sondern werden in gegenseitigem Einverständnis der Eltern geplant.
Die Betonung der Sexualität als persönliche Verwirklichung hat das Aufkommen von Formen des Zusammenlebens erleichtert, die nicht unbedingt in eine Ehe münden. Dies drückt sich in der Entstehung von freien und einvernehmlichen Beziehungen aus ohne andere Verpflichtung als die der gegenseitigen Verwirklichung der Paarbeziehung oder der Lebensgemeinschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren.
Solche Praktiken, so neu sie auch sein mögen, müssen auch eine ethische und spirituelle Perspektive beinhalten. Es ist wichtig, sich zu vergewissern, dass sie Ausdrucksweisen der gegenseitigen Liebe und des gegenseitigen Vertrauens sind. Wo Liebe ist, so besteht aus christlicher Sichtweise etwas, das mit Gott zu tun hat, denn Gott ist die Liebe (1 Joh 4,12-16). Daher sind hier Vorurteile und Diskriminierung fehl am Platz. Stattdessen braucht es Respekt und Offenheit, um diese Fakten zu verstehen und um sie vor Gott zu tragen. Wenn diese Personen ihre Beziehung in Verantwortung leben, sollte ihnen eine spirituelle Relevanz nicht abgesprochen werden.
Es verbreitet sich eine Atmosphäre, die dazu beiträgt, den Versuchungen der Promiskuität zu widerstehen und Treue und Stabilität, die Frucht aller Beziehungen, zu bestärken. Der unveränderliche Kern der Familie ist die Zuneigung, Achtsamkeit füreinander und der Wunsch, zusammen zu bleiben, ebenso wie die Offenheit für die Möglichkeit der Zeugung neuen Lebens.
Unter diesen Umständen ist es erforderlich, über den institutionellen Charakter der Familie hinaus insbesondere den relationellen Charakter zu beachten. Es ist wichtig, hier das komplexe Zusammenspiel der Beziehungen zu sehen, das innerhalb des Paares auftritt. In diesen Beziehungen existieren Lebendigkeit, Ausdrucksweisen von Liebe und Treue, von Begegnungen und Glück. In einem Wort: der Aspekt der Dauerhaftigkeit der Beziehung tritt auf den Plan. Die institutionelle Seite ist gesellschaftlich legitimiert und nimmt, je nach kulturellem Hintergrund (römisch, keltisch, chinesisch, indianisch etc.) sehr unterschiedliche Formen ein.
Interkulturelle Studien haben gezeigt, dass dort, wo ein starker und gesunder sozialer und familiärer Hintergrund herrscht, die Basis für ein großes Vertrauen in den anderen entsteht und es weniger Gewalttätigkeit und mehr soziale Teilnahme gibt. Wird dieses soziale Kapital aufgelöst, erwächst daraus eine Krise und die emotionale Beziehung wird aufgelöst.
Es geht nun darum, gewisse Moralvorstellungen zu überwinden, mit denen niemandem geholfen ist. Diese schaden verschiedenen Formen von Familie oder Lebensgemeinschaft aufgrund eines Details und lassen uns die Werte abhanden kommen, die ganz sicher bestehen und ernsthaft vor Gottes Angesicht gelebt werden.
Die Hauptbedeutung der kirchlichen Lehre über die Familie besteht darin, die menschlichen und moralischen Werte zu unterstreichen, die gelebt werden sollen. So lässt es sich im Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio (1981) und im Brief an die Familien (1994) von Papst Johannes Paul II. lesen. Beide Dokumente bestätigen ausdrücklich, dass „die Familie aus einer Gemeinschaft von Personen besteht, die auf Liebe begründet und durch Liebe belebt ist, deren Herkunft und Ziel das göttliche Wir ist.“
Interessanterweise wird im Dokument „Familiaris Consortio“ der relationellen Dimension eine größere Wichtigkeit verliehen als der institutionellen Dimension. Es definiert Familie als „ein Komplex zwischenmenschlicher Beziehungen – eheliche Beziehungen, Vaterschaft-Mutterschaft, Kindschaft, Geschwisterlichkeit -, durch die jede Person in die Menschheitsfamilie eingeführt wird.“
Was würde aus der Familie und ihren Mitgliedern werden, wenn das Feuer dieser zwischenmenschlichen Beziehungen von Zuneigung und Achtsamkeit, von Sprache der Verzauberung und des Traums nicht unter ihnen brennte? Ohne diesen Motor, der uns beständig auf unserem Weg antreibt, ohne diese Nische der Gefühle könnte niemand die Schwierigkeiten, die es in allen zwischenmenschlichen Beziehungen gibt, und unsere menschliche Begrenztheit ertragen.
Diese Werte lassen die Familien über sich hinauswachsen. Der Traum besteht gerade darin, dass, ausgehend von den Werten der Familie in ihren verschiedenen Formen, eine Schul-Familie, eine Arbeits-Familie, eine Gemeinde-Familie, eine nationale Familie und eine Menschheitsfamilie entsteht und schließlich eine Erd-Familie als letztes Sprungbrett hin zur Gottesfamilie.
Übersetzt von Bettina Gold-Hartnack