Die Wüste ist sowohl eine mysteriöse Wirklichkeit als auch eine tiefe Metapher für die Widersprüche im Leben der Menschen.
40 % der Erdoberfläche befinden sich zurzeit im fortgeschrittenen Stadium der Versteppung. Die Wüste wächst in einer Größenordnung von 60.000 Quadratkilometern pro Jahr, das entspricht 12 Hektar pro Minute. In Brasilien befinden sich eine Million Quadratkilometer im Prozess der Versteppung, einschließlich 180.000 Quadratkilometern allein im Nordosten und in Minas. Dieses Phänomen, das die Ernte bedroht und somit Hunger und Emigration ganzer Bevölkerungsstriche hervorruft, ist das Ergebnis von Entwaldung, geringer Bodennutzung, Klimawandel und der Winde.
Bedenken wir, dass vor 10 000 Jahren die größte Wüste der Welt, die Sahara, mit 9.065.000 km² größer als Brasilien, von dichten tropischen Wäldern bedeckt war und sich dort Fossilien von Dinosauriern und Ruinen einstiger Zivilisationen befinden, da damals der Nil in den Atlantik mündete. Dann wandelte sich jedoch das Klima auf drastische Weise und verwandelte dieses Gebiet in eine immense Savanne und später in eine dürre und extrem trockene Wüste. Ist dies kein Warnzeichen für den Amazonas-Urwald?
Doch das Leben ist immer stärker. Es widersteht, passt sich an und am Ende triumphiert es. Immer noch keimt das Leben in den Wüsten mit mehr als 800 Pflanzenarten, winzigen Insekten und Tieren. Es reicht, dass ein feuchterer Wind geht oder ein paar Tropfen Wasser fallen, und das unsichtbare Leben bricht in ganzer Pracht wieder auf.
Innerhalb von acht Tagen keimt Samen, blüht auf, reift und bringt Früchte hervor, die zu Boden fallen. Der Samen hält sich im Boden. Er wartet über ein Jahr in der Hitze der Sonne und der Peitsche des Windes, bis er wieder keimen und den ununterbrochenen und triumphierenden Lebenszyklus fortsetzen kann. Andere Sträucher wiederum rollen sich ein und krümmen sich, um sich vor dem Wind zu schützen und zu überleben.
Ebenso ernähren sich kleine Tiere von Insekten, Schmetterlingen, Libellen und vom durch den Wind gebrachten Samen.
Doch wo es eine Oase gibt, scheint die Natur alles wettzumachen: das Grün ist grüner, die Atmosphäre vergnügter, und die Früchte sind farbenfroher. Sie alle verkünden den Sieg des Lebens.
Mit Hilfe von Technologie eröffnet sich der Mensch die Wüsten, baut lange Autobahnen und gewinnt die Wüste für die Zivilisation zurück, so wie es in den Vereinigten Staaten geschieht, in China und in Chile. Dies ist die Wirklichkeit der Ökologie der äußerlichen Wüste.
Es gibt aber auch innere Wüsten, die ebenfalls eine tiefe Ökologie besitzen. Jeder Mensch hat eine Wüste, durch die er hindurch wandern muss auf der Suche nach dem „gelobten Land“. Dies ist eine schmerzvolle Reise, angefüllt mit Luftspiegelungen. Doch es wartet immer auch eine Oase, um diesen Menschen wieder aufzubauen.
Es gibt solche und solche Wüsten: Wüsten der Sinne, des Geistes, des Glaubens. Die Wüste der Sinne tritt vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen auf. Nach einigen Jahren erfährt die Beziehung eines Paares die Wüste der täglichen Monotonie und der Verblassung der gegenseitigen Bezauberung. Wenn es keine Kreativität oder gegenseitige Akzeptanz der Schwächen des anderen gibt, kann die Beziehung sterben. Wird die Wüste nicht durchquert, so bleibt man darin stecken.
Es gibt auch eine Wüste des Geistes. Als das Christentum im 4. Jahrhundert begann, bürgerlich zu werden, beschlossen einige Laienchristen, den Traum des Jesus von Nazareth lebendig zu halten. Sie gingen in die Wüste, um das gelobte Land in ihren eigenen Seelen zu finden und um den unverhüllten und lebendigen Gott anzutreffen. Und sie trafen auf Gott. Es geht dabei um eine gefährliche Durchquerung der Wüste. Der heilige Johannes vom Kreuz spricht von der „schrecklichen und Furcht erregenden“ Nacht des Geistes. Doch diese führt zu einer radikalen Vereinigung. Dann wird aus der Dürre das verlorene Paradies geboren. Die Wüste ist eine Metapher für diese Suche und diese Begegnung.
Schließlich gibt es noch eine Wüste des Glaubens. Zurzeit erlebt die katholische Kirche eine karge Wüste, denn der Frühling, der durch das 2. Vatikanische Konzil erwachte, wurde in einen strengen Winter verwandelt durch die Maßnahmen, die das Zentralorgan des Vatikans unternahm in seiner Bemühung, Traditionen und Frömmigkeitsübungen zu erhalten, die dem mittelalterlichen Modell von Machtkirche entsprechen. Die Kirche reagiert auf die Rufe des Volkes wie eine belagerte und verschlossene Festung, die für die Klagen und Hoffnungen des Volkes verschlossen bleibt. Dies ist ein Modell einer Kirche der Angst, des Misstrauens und der Armut an Kreativität, was Unzulänglichkeit des Glaubens und des Vertrauens in den Geist des Jesus von Nazareth aufdeckt. Das Gegenteil von Glauben ist nicht Atheismus, sondern Angst. Eine ängstliche Kirche verliert ihre wichtigste Substanz, d. h. den lebendigen Glauben. Die pädophilen Verbrechen vieler Geistlicher und die Finanzskandale der Vatikanbank führten viele Gläubigen zu einer Erfahrung der Wüste und dazu, aus der Institution auszutreten, selbst wenn sie am Traum Jesu und an den Evangelien festhalten. Wir leben in einer kirchlichen Wüste ohne das geringste Anzeichen einer Oase am Horizont. Dies ist unsere Herausforderung: die Durchquerung der Wüste trotz allem zu unternehmen, in der Gewissheit, dass der Geist erscheint und Blumen in der Wüste erblühen lassen wird. Doch wie schmerzhaft ist die Reise!
Übersetzt von Bettina Gold-Hartnack